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MATERIAL ZUM DIAGRAMM
aus: Daidalos, Architektur - Kunst - Kultur: Diagrammanie, Nr. 74

Diagramme können verschiedene Arten von
Informationen in einer einzigen grafischen Konfiguration oder einem Satz solcher Konfigurationen organisieren und präsent halten. Sie können komplexe Bedingungen darstellen, untersuchen und erklären... so gesehen kann das Diagramm nicht nur als Organisationsinstrument dienen, sondern auch als heuristisches Mittel, das unserer Realitätserfahrung gerecht wird. Es ist zudem ein Visualisierungs- und Organisierungsinstrument, das sich der Unabänderlichkeit der endgültigen Form entzieht.

Das Diagramm vertritt einen
offenen, generativen Entwurfsprozeß, der zwischen der ungeordneten Komplexität der Informationsgesellschaft und den Erfordernissen der Untersuchungsgegenstands zu vermitteln verheißt. Das Diagramm ist vorläufige Formulierung noch zu verwirklichender Absichten, eine Lern- und Veränderungsmaschine.

Es entspricht auch dem Geschmack der Zeit, dass es den Künstler als kreatives Individuum zurücknimmt und das Arbeitsergebnis als etwas interaktiv Hergestelltes und sozial Konstituiertes verstehen hilft, als
Feld von Resonanzen und Virtualitäten.

Das Diagramm
befreit das Entwerfen von Formentscheidungen, um die Hände frei zu haben für die notwendigen Vorarbeiten, zögert das Formproblem, die Vollendung solange wie möglich hinaus. Es befreit den Entwurf von einer Tendenz zu fixen Typologien. Und es erlaubt, das Kollektive neu zu denken: nicht mehr als Organisieren der Masse, sondern als Zugeständnis von Mustern mit der größeren Vielfalt.
[...]

Für Charles Sanders Peirce, den Doyen der Semiotik, stellte das Diagramm gleichsam einen Gedankengang dar, und er ordnete es den Zeichen zu, die er als Ikonen bezeichnete: "Ein Diagramm ist in erster Linie eine Ikone, und zwar eine Ikone intelligibler Relationen in der Konstitution des Objekts." Diagramme arbeiten mit den Techniken der graphischen Abstraktion (Geometrie, Syllogistik) und besitzen die für Peirce so bedeutsame Indexfunktion des "Zeigens".

Anders als Zeichnungen jedoch bieten sie keine Bedeutungstiefe, die unter die Oberfläche dränge - also das, was Deleuze als "Einsicht" ins Objekt bezeichnet. Da es die formalen Eigenschaften seines Objekts darstellt, setzt es sich selbst an die Stelle dieses Objekts.
Daher verschwindet nach Peirce im Diagramm die "Unterscheidung zwischen Realität und Kopie".

Doch gerade das eröffnet dem Diagramm Möglichkeiten, die weit über seine informativen und referentiellen Eigenschaften hinausgehen. Denn die von Peirce aufgeworfene Frage - Ist das Diagramm ein reales Objekt oder die Kopie eines realen Objekts? - macht es zu einem Instrument in der Schwebe gehaltener Realität. "Für den Augenblick", schreibt Peirce, "ist es ein reiner Traum." Oder anders gesagt, das Diagramm kann als
Instrument der Utopie gelten. Und tatsächlich ist es eine triviale Feststellung, wenn man sagt, dass Utopien notwendig diagrammatisch sind.
[...]

So mag es zwar möglich sein, dass System der Platonischen Ideen als Diagramm darzustellen, nicht aber die idealen Formen selbst. Hier geht es nicht um die Verwischung der Grenzen zwischen Realität und Kopie, sondern um eine vollständige Trennung beider Bereiche, wobei das Symbol die Idealvorstellung bewahrt.

Das eigentliche Diagramm, wie Peirce es definiert - als ikonische Form - ist eher ein Produkt der Moderne, ein schematisches Instrument im Dienst einer Zeit, die an die Realisierbarkeit der Utopie glaubte, an die Schaffung eines "guten Ortes" statt an die Vorstellung eines "Nirgendwo".

In diesem Sinne ist das Diagramm ein Produkt der Aufklärung, ein Vehikel der Fortschrittsphilosophie, und entstand zeitgleich mit der Erfindung der Axonometrie, der Entwicklung des metrischen Systems und der Verfeinerung der geologischen Vermessungstechniken. In dieser Form bildete es eine Technik zum Entwurf von "Maschinen", wie man im 18. Jahrhundert gern sagte: "Maschinen zum Heilen" oder Krankenhäuser; "Maschinen" zur Bestrafung und Erziehung oder Gefängnisse und Schulen; "Maschinen" der Gemeinschaft oder Kommunen und so weiter.
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